Auf nach Estland!
Teil 7: Zwischenbilanz
Nun ist es an der Zeit für eine Zwischenbilanz.
Ausgangspunkt dieser Serie ist der Artikel Digitales Klassenzimmer. Warum Estlands Schüler den deutschen weit voraus sind, von Julia Köppe, der auf SPIEGEL ONLINE erschien (1). Ohne auch nur irgendeinen empirischen Beleg vorzuweisen, meint die Autorin, den Leistungsunterschied zwischen Deutschland und Estland auf die Superdigitalisierung in Estland zurückführen zu können.
Auf der Grundlage von PISA 2015 (2) haben wir im → Teil 1 zunächst einmal die Ausgangslage dargestellt. Dabei haben wir auch Finnland in die Betrachtung einbezogen, das seit jeher zur Weltspitze gehört. Deutschland gehört zwar ebenfalls zu den Spitzenländern, aber dennoch bleibt es sowohl hinter Estland als auch hinter Finnland zurück. Bei der Lesekompetenz liegt Deutschland 10 Punkte hinter Estland und 17 Punkte hinter Finnland. In Mathematik beträgt der Rückstand gegenüber Estland 14 und gegenüber Finnland 5 Punkte. In den Naturwissenschaften hat Estland einen Vorsprung von 25 und Finnland einen Vorsprung von 22 Punkten. Diese Unterschiede sind in der Tat erklärungsbedürftig.
Im → Teil 2 haben wir die Veränderungen von PISA 2006 über PISA 2009 und PISA 2012 bis PISA 2015 betrachtet (Deutschland und Finnland nehmen seit 2000 an den PISA-Studien teil, Estland erst seit 2006).
Finnland, das lange Zeit der Megasuperstar war, musste in diesem Zeitraum starke Rückgänge hinnehmen (gleichwohl gehört es immer noch zu den weltweiten Spitzenländern). Bei der Lesekompetenz beträgt der Rückgang 21, in Mathematik 37 und in den Naturwissenschaften 32 Punkte.
Völlig anders das Bild in Deutschland und Estland: Von 2006 bis 2015 hat sich die Lesekompetenz in Estland um 18 und in Deutschland um 14 Punkte verbessert. In Mathematik betrug die Steigerung in Estland 5 und in Deutschland 2 Punkte. In den Naturwissenschaften verbesserte sich Estland um drei Punkte, wohingegen sich Deutschland um 7 Punkte verschlechterte.
Berücksichtigt man die Veränderungen über die vier Messzeitpunkte, dann ist der Rückgang in Finnland in allen Bereichen statistisch signifikant; bei der Lesekompetenz beträgt er etwas weniger, in Mathematik und den Naturwissenschaften etwas mehr als der Lernzuwachs in einem Schuljahr am Ende der Sekundarstufe I. Diese Rückgänge sind durchaus bedeutsam.
Im Gegensatz dazu sind die Veränderungen in Estland und in Deutschland statistisch bedeutungslos!
Bereits an dieser Stelle ist klar, dass die These von Julia Köppe jeglicher Grundlage entbehrt. Die Veränderungen liegen in Estland und in Deutschland voll und ganz im Rahmen der zufällig zu erwartenden Schwankungen. Nach der These der Autorin hätte die Digitalisierung in Estland zu einem signifikanten und bedeutsamen Anstieg und infolgedessen zu einem bedeutsamen Auseinanderklaffen von Deutschland und Estland führen müssen. Davon kann keine Rede sein. Der Niveauunterschied zwischen Deutschland und Estland hat sich nur unwesentlich verändert. Dieser Unterschied bedarf nach wie vor einer Erklärung. Fest steht an dieser Stelle lediglich eines: An der Superdigitalisierung Estlands kann er auf keinen Fall liegen, denn sonst hätte sich Estland sehr viel günstiger entwickeln müssen als Deutschland. Der Artikel von Julia Köppe gehört ins Reich der politisch korrekten Märchen, er ist – wie man Neudeutsch sagt – nichts anderes als Fake News.
In den weiteren Folgen haben wir genau den Faktor ins Blickfeld gerückt, der sich für jeden unvoreingenommenen Beobachter als der aussichtsreichste Kandidat zu Erklärung des Niveauunterschieds anbietet, nämlich die Migranten
Fortsetzung im → Teil 8.
*
Quellen und Anmerkungen
(1) Julia Köppe: Digitales Klassenzimmer. Warum Estlands Schüler den deutschen weit voraus sind. SPIEGEL ONLINE, 08. November 2017.
(2) OECD (2016), PISA 2015 Ergebnisse (Band I). Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung. W. Bertelsmann Verlag, Germany. DOI 10.3278/6004573w
PISA 2015. Zusatzmaterialien im Internet. Anhang zu Kapitel 7. http://dx.doi.org/10.1787/888933433226
***
Stichwörter:
Bildung, PISA, Estland, Finnland, Deutschland, Mathematik, Migranten, Migrationshintergrund, SPIEGEL ONLINE, Fake News
Ein Kommentar zu „Auf nach Estland! – Teil 7“