Auf nach Estland! – Teil 2

PISA - Entwicklung in Mathematik 2006 bis 2015

Auf nach Estland!

Teil 2: PISA 2006 – 2015 – Estland, Finnland und Deutschland

Ausgangspunkt dieser Serie ist der SPIEGEL-ONLINE-Artikel Digitales Klassenzimmer. Warum Estlands Schüler den deutschen weit voraus sind (1), in dem die Autorin Julia Köppe auf blauäugige, durch nichts begründete Weise das hervorragende Bildungsniveau Estlands auf die digitale Ausstattung der Schulen zurückführt (→ Teil 1).

Anhand der jüngsten PISA-Studie (2) haben wir gesehen:

  • Unter den europäischen Ländern steht Estland an der Bildungsspitze, gefolgt von Finnland und Deutschland (und Slowenien, das in diesem Zusammenhang nicht betrachtet werden soll).

Die letzte PISA-Studie wurde im Jahr 2015 durchgeführt und sie hat das gemessen, was die Schüler in den Jahren davor gelernt haben. Ob die digitale Ausstattung an Estlands Schulen bereits damals so superfantastisch war, wie die SPIEGEL-ONLINE-Autorin heute schwärmt, ist mir nicht bekannt.

Im Folgenden dehnen wir die Zeitperspektive ein wenig aus und betrachten die Entwicklung von 2006 bis 2015.

Abbildung 2.1 zeigt die Entwicklung der Lesekompetenz in den PISA-Studien 2006, 2009, 2012 und 2015.

PISA - Entwicklung der Lesekompetenz 2006 bis 2015 in Estland, Finnland und Deutschland
Abbildung 2.1: PISA – Entwicklung der Lesekompetenz 2006 bis 2015

Finnland liegt in punkto Lesekompetenz über den gesamten Zeitraum klar an der Spitze, musste aber einen dramatischen Rückgang von 547 über 536 und 524 auf 526 Punkte hinnehmen. Deutschland und Estland zeigen hingegen einen Anstieg – Estland von 501 über 501 und 516 auf 519 Punkte; Deutschland von 495 über 497 und 508 auf 509 Punkte. Die Verläufe von Estland und Deutschland sind fast perfekt parallel. Da die digitale Superausstattung der estnischen Schulen garantiert nicht vor das Jahr 2006 zurückreicht, kann der kleine Unterschied zwischen Deutschland und Estland auf keinen Fall auf den Grad der Digitalisierung zurückgeführt werden.

Abbildung 2.2 zeigt die Entwicklung in Mathematik in den PISA-Studien 2006, 2009, 2012 und 2015.

PISA - Entwicklung in Mathematik 2006 bis 2015 in Estland, Finnland und Deutschland
Abbildung 2.2: PISA – Entwicklung in Mathematik 2006 bis 2015

Auch im Fach Mathematik hat der ehemalige Superstar Finnland einen dramatischen Absturz vollzogen: 548, 541, 519, 511 Punkte (obgleich es nach wie vor weit über dem Durchschnitt der 35 OECD-Länder liegt). Estland und Deutschland zeigen im gesamten Zeitraum nur minimale Veränderungen – Estland: 515, 512, 521, 520; Deutschland: 504, 513, 514, 506 Punkte. Im Jahr 2006 betrug Estlands Vorsprung 11 Punkte, im Jahr 2015 waren es 14. Auch im Fach Mathematik deutet nichts darauf hin, dass die Superdigitalisierung estländischer Schulen irgendeinen Effekt gehabt hätte.

Abbildung 2.3 zeigt die Entwicklung in den Naturwissenschaften in den PISA-Studien 2006, 2009, 2012 und 2015.

PISA - Entwicklung in Naturwissenschaften 2006 bis 2015 in Estland, Finnland und Deutschland
Abbildung 2.3: PISA – Entwicklung in Naturwissenschaften 2006 bis 2015

Auch in denNaturwissenschaften zeigt Finnland einen dramatischen Absturz: 563, 554, 545, 531 Punkte. Deutschland und Estland zeigen abgesehen von der ersten Zeitspanne eine gleichgerichtete Entwicklung – Estland: 531, 528, 541, 534; Deutschland: 516, 520, 524, 509 Punkte. 2006 trennten Estland und Deutschland 15 Punkte; 2015 waren es dann 25. Die Schere ist also deutlich auseinander gegangen. Dies kann aber nicht an der Superdigitalisierung Estlands liegen, denn Estland musste von 2012 bis 2015 eine Einbuße von 7 Punkten beklagen (nicht ernst gemeint: Hat hier die Superdigitalisierung die Leistungen etwa nach unten gezogen?). Noch deutlich stärker war der Rückgang in Deutschland, das in der letzten PISA-Studie 15 Punkte einbüßte und damit wesentlich zur Öffnung der Schere beigetragen hat.

Als Fazit können wir festhalten:

  • Nichts, aber auch gar nichts an den Verläufen von 2006 bis 2015 spricht dafür, dass der Vorsprung Estlands gegenüber Deutschland auf die Digitalisierung der estnischen Schulen zurückzuführen ist.

Wie die Autorin Julia Köppe auf diese Idee kommt, bleibt ihr Geheimnis. Eine faktenbasierte Begründung bleibt sie schuldig.

In der nächsten Folge werden wir sehen, dass es einen ganz anderen Faktor gibt, der einen Großteil der Unterschiede zwischen Deutschland und Estland (sowie Finnland) erklärt. Jeder, der auch nur ein bisschen Ahnung von Bildungsforschung hat und die Welt nicht durch die Brille der Political Correctness betrachtet, weiß, welcher Kandidat die besten Aussichten hat. Hier gibt es → Teil 3.


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Quellen und Anmerkungen

(1) Julia Köppe: Digitales Klassenzimmer. Warum Estlands Schüler den deutschen weit voraus sind. SPIEGEL ONLINE, 08. November 2017.

(2) OECD (2016), PISA 2015 Ergebnisse (Band I). Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung. W. Bertelsmann Verlag, Germany. DOI 10.3278/6004573w

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Stichwörter:
Bildung, PISA, Estland, Finnland, Deutschland, SPIEGEL ONLINE, Digitalisierung, Mathematik, Naturwissenschaften, Lesekompetenz

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