Orthographie-Wunder Saarland
Datenschutz kontra Bildungsforschung
Wie der Datenschutz die Bildungsforschung ad absurdum führt. Das Problem fehlender Werte in der Bildungsforschung.
Das Saarland fristet in der Bildungslandschaft, wie auch sonst, ein unauffälliges Dasein. In der jüngsten nationalen IQB-Bildungsstudie (1) haben jedoch die saarländischen Schüler der vierten Jahrgangsstufe durch herausragende Leistungen im Bereich Orthographie im Fach Deutsch auf sich aufmerksam gemacht. Der Mittelwert für Deutschland insgesamt liegt bei 500 Punkten; an der Spitze der Bundesländer steht Bayern mit 534 Punkten, dicht gefolgt vom Saarland mit 526 Punkten. Alle anderen Länder schneiden nicht nur statistisch signifikant schlechter ab, der Vorsprung gegenüber dem Drittplatzierten Hessen ist mit 20 Punkten beachtlich.
Eine noch beachtlichere Leistung der saarländischen Schüler ergibt sich bei einer Aufschlüsselung nach dem Migrationsstatus. Auf der Ebene der Bundesländer unterscheidet der IQB-Bildungsbericht zwischen Kindern ohne Zuwanderungshintergrund, Kindern mit einem im Ausland geborenen Elternteil und Kindern mit zwei im Ausland geborenen Elternteilen. Die Leistungen dieser Gruppen und die jeweilige Stichprobengröße sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Mittelwert | Anzahl | |
Ohne Zuwanderungshintergrund | 537 | 1032 |
Ein Elternteil im Ausland geboren | 531 | 168 |
Zwei Elternteile im Ausland geboren | 527 | 231 |
Nein, hier liegt kein Tippfehler vor. Laut IQB-Bericht schneiden alle drei Gruppen besser ab als die saarländischen Schüler im Mittel.
Was wie ein Wunder erscheint, lässt sich leicht aufklären: In Tabelle 1 sind naturgemäß nur die Schüler erfasst, denen ein Migrationsstatus zugeordnet werden konnte. Aufgrund der Datenschutzbestimmungen im Saarland sind Schüler, Eltern und Schulen nicht zur Angabe des Migrationsstatus‘ verpflichtet und so konnten 17,1 Prozent der saarländischen Schüler keiner Gruppe zugeordnet werden.
Anhand der vorliegenden Werte lässt sich leicht ausrechnen, dass 295 Schüler fehlende Angaben aufwiesen und dass der Mittelwert dieser Gruppe 484 Punkte beträgt. Es ist nicht allein so, dass 17,1 Prozent der Schüler nicht zuzuordnen waren, diese Gruppe ist auch sehr viel schlechter als die Schüler mit vollständigen Angaben. Letztere erzielten im Mittel 535 Punkte, die Differenz beträgt somit 51 Punkte!
Diese Verzerrung ist ein Lehrstück darüber, wie unter dem Deckmantel des Datenschutzes die Bildungsforschung ad absurdum geführt wird.
Für die Schüler mit fehlenden Angaben kann nicht festgestellt werden, welcher Migrationsgruppe sie angehören und welche Punktwerte auf welche Gruppe entfallen. Es lassen sich jedoch durchaus plausible Annahmen treffen, aus denen eine grobe Abschätzung abgeleitet werden kann. Diesen Punkt werde ich in anderen Beiträgen behandeln.
Das Saarland und einige andere Bundesländer haben offenkundig kein Interesse zu erfahren, wie sich die Leistungen von Einheimischen und Migranten voneinander unterscheiden. (2) Belassen wir es an dieser Stelle dabei.
An der herausragenden Leistung der saarländischen Schüler insgesamt ändert sich durch die fehlenden Werte selbstverständlich nichts. Der zweite Platz ist verdient und es besteht keinerlei Grund, das Gesamtergebnis anzuzweifeln. Also herzlichen Glückwunsch an die jungen Saarländer – Rechtschreibung gut!
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Quellen und Anmerkungen
(1) Petra Stanat, Stefan Schipolowski, Camilla Rjosk, Sebastian Weirich & Nicole Haag (Hrsg.). IQB-Bildungstrend 2016. Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich. Münster: Waxmann.Der gesamte Bericht samt Zusatzmaterialien kann im Internet als PDF heruntergeladen werden → https://www.iqb.hu-berlin.de/bt/BT2016/Bericht
(2) Typischerweise sind das neben dem Saarland insbesondere die Länder, die in allen Schulleistungsstudien besonders schlecht abschneiden, wie Bremen, Berlin und Hamburg.
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Stichwörter:
Bildung, IQB, Saarland, Migranten, Migrantenquote, Fehlende Werte, Missing Values, Orthographie, Rechtschreibung, Bildungsforschung, Datenschutz,