Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz
Teil 10: PIAAC 2012/2014 – Resumé
Die Intelligenz von Männern und Frauen ist nicht gleich. Männer und Frauen unterscheiden sich in ihren relativen Stärken und Schwächen, sie unterscheiden sich im Leistungsniveau und in der Varianz und die Geschlechtsunterschiede können im Erwachsenenalter anders ausfallen als in der Kindheit und Jugendzeit.
Zum Beginn dieser Serie → Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz – Teil 1.
Auf der Grundlage von PIAAC 2012/2014 [1] [2] haben wir Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz von Erwachsenen untersucht. Nun wollen wir die wichtigsten Befunde zusammenfassen.
In PIAAC ist ebenso wie in anderen internationalen und nationalen Bildungsstudien der Begriff Intelligenz aus rein politischen Gründen tabu. Es besteht jedoch nicht der geringste Zweifel, dass die Lesekompetenz, die Alltagsmathematische Kompetenz und die Technologiebasierte Problemlösekompetenz, die in PIAAC gemessen werden, Komponenten der Intelligenz sind.
Im → Teil 4 haben wir gesehen, dass die Korrelation zwischen dem Nationalen IQ der Teilnehmerländer und der Lesekompetenz 0,65, der Alltagsmathematischen Kompetenz 0,63 und der Technologiebasieren Problemlösekometenz 0,82 beträgt. Und das, obwohl der Variationsbereich der Intelligenz stark eingeschränkt ist, da die Teilnehmerländer ausschließlich aus dem oberen und gehobenen mittleren Intelligenzbereich stammen.
Die paarweise Korrelation zwischen den drei PIAAC-Bereichen beträgt:
Lesen / Mathematik: 0,95
Lesen / Technologie: 0,84
Mathematik / Technologie: 0,81
Das heißt: Die drei Bereiche messen in hohem Grade dasselbe. – Das Gemeinsame ist zu einem hohen Grad die Intelligenz.
Im → Teil 2 hatten wir vier Hypothesen formuliert, die Erwachsenendifferenzhypothese, die Entwicklungshypothese, die Varianzhypothese und die Bereichshypothese.
Die Bereichshypothese besagt, dass der Unterschied im Intelligenzniveau von Männern und Frauen je nach Bereich unterschiedlich ausfällt.
Dies ist in der Tat der Fall: Die Effektstärke d – also die standarisierte Mittelwertsdifferenz – beträgt in der Lesekompetenz +0,04, in der Alltagsmathematischen Kompetenz +0,12 und in der Technologiebasierten Problemlösekompetenz +0,22. In allen drei Bereichen schneiden die Männer besser ab als die Frauen, aber die Differenz fällt je nach Bereich unterschiedlich aus. Umgerechnet auf eine IQ-Skala beträgt der Unterschied 0,6, 1,8 und 3,3 IQ-Punkte.
Die Entwicklungshypothese nach Lynn besagt, dass der Leistungszuwachs bei Männern ab der Pubertät größer ist als bei den Frauen. Diese Hypothese wird durch den Vergleich von PIAAC und PISA 2015 bestätigt. Bei PISA 2015 hatten die 15-Jährigen Mädchen in der Lesekompetenz einen großen Vorsprung von d=-0,28; im Erwachsenenalter haben hingegen die Männer mit d=+0,04 die Nase vorn. In Mathematik hatten die 15-jährigen Jungen einen Vorsprung von d=+0,09; im Erwachsenenalter hat sich der Vorsprung auf d=+0,22 erhöht. (Die Technologiebasierte Lesekompetenz wurde bei PISA nicht getestet.)
Die Erwachsenendifferenzhypothese nach Lynn besagt, dass im Erwachsenenalter Männer intelligenter sind als Frauen. Lynns Hypothese bezieht sich auf die Allgemeine Intelligenz, den g-Faktor. Diese wird durch PIAAC nicht gemessen. Da jedoch die Männer in allen drei PIAAC-Bereichen besser abschneiden als die Frauen, bietet PIAAC eine gewisse Unterstützung.
Die Varianzhypothese berücksichtigt die Unterschiede innerhalb der Geschlechter. Während die psychologische Intelligenzforschung in aller Regel davon ausgeht, dass die Varianz zwischen Männern größer ist als zwischen Frauen, wurde dies von Lynn in Zweifel gezogen. PIAAC spricht eindeutig gegen Lynns Zweifel: In allen Bereichen und in allen Altersgruppen ist die Varianz bei den Männern größer. Der Unterschied beträgt etwa 11 Prozent. Werte dieser Größenordnung wurden in zahlreichen Untersuchungen berichtet.
Insgesamt ergibt sich aus PIAAC: Männer erreichen im Erwachsenenalter ein etwas höheres Leistungsniveau und die Varianz ist bei Männern größer als bei Frauen.
Der Unterschied im Leistungsniveau ist auf Individuenebene bedeutungslos. Auf Populationsebene sieht die Sache hingegen anders aus. Im Verbund mit der größeren Varianz können sich enorme soziale Konsequenzen ergeben. Männer sind im oberen und im unteren Extrembereich viel stärker vertreten als Frauen. Je höher die Anforderungen an die Intelligenz desto dramatischer verschiebt sich im oberen Extrembereich die Relation zugunsten der Männer.
Neben den genannten Aspekten bietet PIAAC noch eine Fülle weiterer interessanter Ergebnisse. Zum Beispiel fallen die Geschlechtsunterschiede in manchen Ländern etwas stärker, in anderen Ländern ein wenig schwächer aus. Oder die Veränderung der Geschlechtsunterschiede über die Altersgruppen ist in manchen Ländern etwas stärker als in anderen. Auf einige Punkte werden wir in späteren Beiträgen zurückkommen.
Zum Abschluss noch eine kleine – unvollständige – Liste von Merksätzen zum Thema Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz.
- Die Intelligenz von Männern und Frauen ist nicht gleich.
- Je nach Bereich können Geschlechtsunterschiede unterschiedlich ausfallen.
- Geschlechtsunterschiede können sich auf das durchschnittliche Leistungsniveau oder auf die Unterschiede innerhalb der Geschlechter – die Varianz – beziehen.
- Je nach Bereich können Niveauunterschiede unterschiedlich ausfallen. Es gibt relative Stärken und relative Schwächen. Es ist zum Beispiel seit Langem bekannt und weitgehend unumstritten, dass die relative Stärke der Frauen eher im verbalen und die der Männer eher im mathematischen Bereich liegt.
- Geschlechtsunterschiede können je nach Alter unterschiedlich ausfallen. Die Geschlechter haben unterschiedliche Entwicklungsverläufe. Geschlechtsunterschiede können bei Erwachsenen anders ausfallen als bei Kindern und Jugendlichen.
- Es weist einiges darauf hin, dass Männer ab der Pubertät einen stärkeren Anstieg verzeichnen als Frauen.
- Es weist einiges darauf hin, dass Männer im Erwachsenenalter ein etwas höheres Gesamtniveau erreichen als Frauen.
- Es weist vieles darauf hin, dass die Varianz bei Männern größer ist als bei Frauen. Die Varianz zwischen den Männern ist oftmals um etwas mehr als zehn Prozent größer als die Varianz zwischen Frauen.
- Varianzunterschiede können selbst bei identischen Mittelwerten große soziale Auswirkungen haben, da sie sich sehr stark auf das Geschlechterverhältnis im oberen oder unteren Extrembereich auswirken.
- Eine Kombination von Niveauunterschied und Varianzunterschied kann in den Extremen zu einer außerordentlich starken Verschiebung der Geschlechterrelation führen.
- Geschlechtsunterschiede hängen sowohl von biologischen Faktoren als auch von Umweltgegebenheiten als auch von sozialen Faktoren ab.
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Die Beiträge auf diesem Blog richten sich an ein breites Publikum.
Ein hervorragender Artikel, der sich an das Fachpublikum richtet und einige wichtige Aspekte, die hier behandelt wurden, weiter vertieft ist:
Nyborg, H. (2015). Sex differences across different racial ability levels: Theories of origin and societal consequences. Intelligence, 52, 44-62.
An einer sehr großen repräsentativen Stichprobe des National Longitudinal Survey of Youth 1997 wird deutlich, wie bei Weißen, Hispanics und Schwarzen in den USA die Geschlechter im Alter von 16 und 17 auseinanderdriften. Es wird ausführlich dargestellt, wie sich aus dem Zusammenspiel von Niveau- und Varianzunterschieden in den Extrembereichen außerordentlich große Unterschiede in der Geschlechterrelation ergeben und wie katastrophal sich eine rein ideologisch basierte Quotenregelung auf die Gesamtgesellschaft auswirken kann.
Literatur
[1] Rammstedt, B. (2013). Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im internationalen Vergleich. Ergebnisse von PIAAC 2012. Münster: Waxmann.
[2] NCES National Center for Educational Statistics: International Data Explorer. PIAAC Data Explorer.
https://nces.ed.gov/surveys/piaac/ideuspiaac/
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Stichwörter:
Bildung, Intelligenz, PIAAC, Geschlecht, Geschlechtsunterschiede, Erwachsene, Varianz
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