Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz
Teil 6: PIAAC 2012/2014 – Alltagsmathematische Kompetenz von Erwachsenen
Männer zeigen eine höhere alltagsmathematische Kompetenz als Frauen. Die Varianz ist bei den Männern um 11 Prozent größer als bei den Frauen. Die Kombination dieser beiden Geschlechtsunterschiede hat auf Populationsebene beträchtliche Konsequenzen.
Zum Beginn dieser Serie → Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz – Teil 1.
Auf der Grundlage von PIAAC 2012/2014 [1] [2] haben wir im → Teil 5 Geschlechtsunterschiede in der Lesekompetenz von Erwachsenen untersucht.
Nun betrachten wir Geschlechtsunterschiede in der alltagsmathematischen Kompetenz von Erwachsenen.
Die Grundlage bilden auch hier 155 unabhängige Stichproben aus PIAAC 2012/2014, die sich aus der Kombination von 31 Ländern und 5 Altersgruppen ergeben.
Die Daten, die Aufschlüsse über Lynns Entwicklungshypothese und die Varianzhypothese liefern, sind in Tabelle 6.1 zusammengefasst. Der linke Teil bezieht sich auf das Leistungsniveau, der rechte auf die Varianz. Die Spalte NM>F gibt die Anzahl der Länder an, in denen die Männer besser abschnitten als die Frauen. Die Effektstärke d ergibt sich aus dem Mittelwert der Männer minus Mittelwert der Frauen dividiert durch die gemeinsame Standardabweichung. Die Spalte NVM>VF zeigt die Anzahl der Länder, in denen die Varianz zwischen den Männern größer ist als zwischen den Frauen. Die Spalte VM/VF zeigt den Quotienten Varianz der Männer dividiert durch die Varianz der Frauen.
NM>F = Anzahl der Länder, in denen Männer besser abschneiden als Frauen (von jeweils 31 Ländern).
d = Effektstärke (Mittelwert der Männer minus Mittelwert der Frauen dividiert durch die gemeinsame Standardabweichung).
NVM>VF = Anzahl der Länder, in denen die Varianz zwischen Männern größer ist als die Varianz zwischen Frauen (von jeweils 31 Ländern).
VM/VF = Varianzquotient (Varianz der Männer dividiert durch die Varianz der Frauen).
Mittelwertsunterschiede | Varianz | |||
Alter | NM>F | d | NVM>VF | VM/VF |
16-24 | 28 | 0,13 | 25 | 1,13 |
25-34 | 30 | 0,20 | 22 | 1,07 |
35-44 | 31 | 0,26 | 22 | 1,10 |
45-44 | 29 | 0,24 | 26 | 1,11 |
55-65 | 27 | 0,28 | 24 | 1,13 |
Gesamt | 145 | 0,22 | 119 | 1,11 |
Im Hinblick auf die Mittelwertsunterschiede ergibt sich folgendes Bild:
In 145 von 155 Teilgruppen schneiden die Männer besser ab als die Frauen. Das ist ein Verhältnis von 94 zu 6 Prozent. In PISA 2015 beträgt das Verhältnis 63 zu 37 Prozent zugunsten der 15-jährigen Jungen.
Der Leistungsvorsprung der Männer entspricht einer Effektstärke d von +0,22. In PISA 2015 beträgt er +0,09. Umgerechnet auf eine IQ-Skala hat sich der Vorsprung des männlichen Geschlechts von 1,35 auf 3,3 IQ-Punkte erhöht.
Bei Berücksichtigung der Altersgruppen ergibt sich von den 16-bis-24-Jährigen über die 25-bis-34-Jährigen zu den 35-44-Jährigen ein Anstieg von 0,13 über 0,20 auf 0,26. Danach bleibt der Geschlechtsunterschied etwa auf demselben Niveau.
Insgesamt entspricht dieses Muster genau dem, was man nach Lynns Entwicklungshypothese erwarten würde.
Auch die Varianzhypothese wird in vollem Umfang bestätigt: In 119 von 155 Gruppen zeigt sich die größere Varianz bei den Männern und die Varianz ist insgesamt 11 Prozent größer als bei den Frauen. Der Varianzquotient ist in allen Altersgruppen etwa gleich groß.
Bei gemeinsamer Betrachtung des Mittelwertsunterschieds und des Varianzunterschieds ergibt sich ein bemerkenswertes Bild:
Eine Effektstärke von d=0,22 wird in aller Regel als „klein“ bezeichnet und oftmals als unbedeutend abgetan. In der Tat ist auf Individuenebene eine IQ-Differenz von 3,3 Punkten nicht sonderlich beeindruckend. Auch ein Varianzunterschied von 11 Prozent wird häufig als „gering“ abgetan. Auf Populationsebene gibt die Kombination von d=0,22 und VM/VF=1,11 jedoch einen beträchtlichen Unterschied.
Abbildung 6.1 zeigt zwei Normalverteilungen, bei denen die standardisierte Mittelwertsdifferenz 0,22 und der Varianzquotient 1,11 beträgt.

Es ist mit bloßem Auge zu erkennen, dass sich im oberen Bereich deutlich mehr Männer finden als Frauen und dass im unteren Bereich die Frauen die Oberhand haben.
Wenn man zum Beispiel annimmt, dass für eine bestimmte berufliche Tätigkeit ein Mathematik-IQ von mindestens 110 erforderlich ist und gleich viele Männer wie Frauen zur Verfügung stehen, dann beträgt das Verhältnis geeigneter Bewerber 1,38 zu 1 zugunsten der Männer.
Bei einem Mindestkriterium von 120 steigt das Verhältnis auf 1,68 zu 1.
Im Spitzenbereich von 130 steigt es auf 2,16 zu 1.
Und im Superspitzenbereich von 140 lautet es 2,91 zu 1.
Das heißt, im Spitzenbereich sind rund doppelt und im Superspitzenbereich rund dreimal so viele Männer geeignet wie Frauen.
Wer sich wundert, dass sich in Berufen mit sehr hohen mathematischen Anforderungen viel mehr Männer als Frauen finden, sollte sich einfach mal diese simple Tatsache klarmachen.
In der nächsten Folge betrachten wir Geschlechtsunterschiede bei der Technologiebasierten Problemlösekompetenz.
Hier gibt es die Fortsetzung → Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz. Teil 7: PIAAC 2012/2014 – Technologiebasierte Problemlösekompetenz von Erwachsenen
Literatur
[1] Rammstedt, B. (2013). Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im internationalen Vergleich. Ergebnisse von PIAAC 2012. Münster: Waxmann.
[2] NCES National Center for Educational Statistics: International Data Explorer. PIAAC Data Explorer.
https://nces.ed.gov/surveys/piaac/ideuspiaac/
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Stichwörter:
Bildung, Intelligenz, PIAAC, PISA, Mathematik, Geschlecht, Geschlechtsunterschiede, Erwachsene, Normalverteilung, IQ
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