Auf nach Estland!
Teil 10: Migrationsstatus – Was versteht man eigentlich unter Zuwanderungs- oder Migrationshintergrund?
In dieser Serie haben wir gezeigt, dass die Migranten einen außerordentlich starken negativen Effekt auf das Bildungsniveau in Deutschland haben. Dabei ist auch klar geworden, dass der Effekt sowohl vom Leistungsniveau als auch von dem relativen Anteil der Migranten, also der Migrantenquote, abhängt.
Laut PISA 2015 (1) betrug der Anteil Schüler mit Migrationshintergrund in Deutschland 16,9 Prozent. Jeder, der in diesem Jahrhundert mit offenen Augen durch Deutschland gegangen ist, weiß, dass mit dieser Zahl etwas nicht in Ordnung ist. Bereits der nationale PISA-Report für das Jahr 2000 (2) weist für Deutschland eine Migrantenquote von 21,8 Prozent aus! Die Zeiten, in denen die Quote noch 16,9 Prozent betrug, sind lange vorbei; das war etliche Jahre vor der Jahrtausendwende.
Die offizielle PISA-Studie der OECD liefert zwei Hinweise, worauf das Missverhältnis zurückzuführen ist.
Eine Fußnote auf Seite 284 lautet: „Bei der Interpretation der Ergebnisse für Deutschland ist aufgrund fehlender Daten für die Variablen Migrationshintergrund und zu Hause gesprochene Spache Vorsicht geboten.“ Bezeichnenderweise gibt es einen solchen Warnhinweis für kein anderes Land. Lediglich in Deutschland gibt es einige Bundesländer, die unter dem Deckmantel Datenschutz die Bildungsforschung ad absurdum führen.
Noch wichtiger ist die PISA-Definition von Migrationshintergrund: „Schüler ohne Migrationshintergrund sind Schüler, deren Mutter und/oder Vater in dem Land … geboren sind, in dem … sie am PISA-Test teilnahmen, unabhängig davon, ob sie selbst in diesem Land … geboren sind“.
Wenn zum Beispiel der in Deutschland geborene türkischstämmige Mustafa die in Anatolien geborene Ayshe heiratet und deren Kinder in Deutschland zur Schule gehen, dann sind diese nach PISA Schüler ohne Migrationshintergrund. Diese Definition ist schlechterdings absurd! Sie wird gleichwohl in den von der OECD getragenen PISA-Studien durchgängig angewandt. Da die Kinder der Mustafas und Ayshes in der Regel sehr viel schlechter sind, ziehen sie das Leistungsniveau der echten Einheimischen nach unten.
In den nationalen Bildungsstudien des IQB und den nationalen Berichten zu den PISA-Studien wird der Migrationsstatus gottseidank anders definiert. Rauch, Mang, Härtig & Haag (2016) (3) treffen folgende Unterscheidung:
- Ohne Zuwanderungshintergrund: Kein Elternteil im Ausland geboren.
- Ein Elternteil im Ausland geboren: Ein Elternteil im Ausland, ein Elternteil in Deutschland … geboren.
- Zweite Generation: Beide Elternteile im Ausland geboren, Jugendliche/r in Deutschland … geboren.
- Erste Generation: Beide Elternteile und Jugendliche/r im Ausland geboren.
Damit werden zwar absurderweise immer noch die Kinder der beiderseits in Deutschland geborenen Mohammeds und Fatimas unter dem Etikett Ohne Zuwanderungshintergrund geführt, aber es ist eine deutliche Verbesserung gegenüber der völlig abstrusen OECD-PISA-Definition.
Nach Rauch et al. (2016) (3) ergeben sich für PISA 2015 die folgenden Werte:
Nicht zuzuordnen: 14,3 %
Unter den gültigen Werten:
Ohne Zuwanderungshintergrund: 72,2 Prozent
Mit Zuwanderungshintergrund: 27,8 Prozent
Nach Generationenstatus:
Ein Elternteil im Ausland geboren: 11,0%
Zweite Generation: 13,1 Prozent
Erste Generation: 3,7 Prozent
Nach Herkunftsregion:
Ehemalige Sowjetunion: 4,8 Prozent
Türkei: 5.5 Prozent
Polen: 2,4 Prozent
Anderes Land: 15,2 Prozent
Nach der PISA-Definition hatten lediglich 16,9 Prozent der Schüler einen Zuwanderungshintergrund – nach der nationalen Klassifikation sind es hingegen 27,8 Prozent! (In dieser Zahl sind die 14,3 Prozent Nichtzuzuordnenden, die mit großer Sicherheit zum allergrößten Teil Migranten sind, naturgemäß nicht mitgezählt.)
In der nächsten Folge werden wir sehen, wie der Effekt der Migranten nach der nationalen Klassifikation aussieht.
Hier gibt es die Fortsetzung → Teil 11
*
Quellen und Anmerkungen
(1) OECD (2016), PISA 2015 Ergebnisse (Band I). Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung. W. Bertelsmann Verlag, Germany. DOI 10.3278/6004573w
PISA 2015. Zusatzmaterialien im Internet. Anhang zu Kapitel 7. http://dx.doi.org/10.1787/888933433226
(2) Jürgen Baumert et al. (Hrsg.) (2000). PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Oppladen: Leske + Budrich.
(3) Dominique Rauch, Julia Mang, Hendrik Härtig & Nicole Haag (2016). Naturwissenschaftliche Kompetenz von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund. In Kristina Reiss, Christine Sälzer, Anja Schiepe-Tiska, Eckhard Klieme & Olaf Köller (Hrsg.). PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation. Münster: Waxmann (S.316-347).
***
Stichwörter:
Bildung, PISA, Migranten, Migrationshintergrund, Zuwanderungshintergrund, Migrationsstatus, IQB, OECD
4 Kommentare zu „Auf nach Estland! – Teil 10“