Auf nach Estland!
Teil 5: Estland, Finnland und Deutschland – Gute und schlechte Migranten (Fortsetzung)
In den beiden vorangegangenen Folgen haben wir die Leistungen in PISA 2015 (1) in Naturwissenschaften (→ Teil 3) und der Lesekompetenz (→ Teil 4) nach dem Migrationsstatus aufgeschlüsselt.
Nun betrachten wir den Einfluss der Migranten im Fach Mathematik. Die Ergebnisse sind in Abbildung 5.1 veranschaulicht

In Mathematik zeigt sich genau dieselbe Grundsituation wie in den Naturwissenschaften und der Lesekompetenz:
(1) Zwischen den Einheimischen der drei Länder zeigen sich nur kleine Unterschiede.
(2) Die Migranten schneiden sehr viel schlechter ab als die Einheimischen.
(3) Zwischen den Migranten in den drei Ländern bestehen sehr große Unterschiede.
Im Vergleich der Einheimischen liegt Estland mit 523 Punkten nur knapp vor Deutschland (519), welches seinerseits knapp vor Finnland (514) liegt. In der Gesamtstichprobe lag Deutschland 14 Punkte hinter Estland (520 bzw. 506 Punkte), bei den Einheimischen beträgt der Abstand nur noch 4 Punkte. Damit ist die Differenz Estland minus Deutschland trotz der großen Stichproben statistisch bedeutungslos. Gleiches gilt für die Differenz Deutschland minus Finnland.
Im Vergleich der Migranten ergibt sich dieselbe Rangfolge, die Unterschiede zwischen den Ländern sind aber sehr groß. Die Migranten in Estland schneiden mit 497 Punkten besser ab als die 35 OECD-Länder im Durchschnitt (490 Punkte; bezogen auf die Gesamtbevölkerung). Ebenso wie in den Naturwissenschaften und der Lesekompetenz zeigen die Migranten in Estland auch in Mathematik ein hohes Niveau. Die Migranten in Deutschland (465 Punkte) und Finnland (451 Punkte) schneiden hingegen (sehr) viel schlechter ab.
Der Vergleich Einheimische vs. Migranten innerhalb der Länder ergibt in Estland eine Differenz von 26 Punkten; in Deutschland sind es 54 und in Finnland 64 Punkte. Zur Einordnung: In einer deutschen Studie (2) betrug der Lernzuwachs zwischen der 9. und der 10. Klasse im Fach Mathematik 25 Punkte. Der Unterschied zwischen Einheimischen und Migranten in Deutschland entspricht somit etwas mehr als zwei Schuljahren!
Das interessanteste Ergebnis bringt der Vergleich Deutschland/Finnland:
- Betrachtet man nur die Einheimischen, dann ist Deutschland um 5 Punkte besser als Finnland.
- Betrachtet man nur die Migranten, dann ist Deutschland sogar um 14 Punkte besser als Finnland.
- Betrachtet man die Gesamtbevölkerung (→ Teil 1), dann ist Deutschland um 5 Punkte schlechter als Finnland!
Das mag auf den ersten Blick absurd erscheinen. Es ist dennoch kein sachlicher Fehler und auch kein Tippfehler. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man die Migrantenquote berücksichtigt. In PISA 2015 beträgt die Migrantenquote in Deutschland 16,9 Prozent, in Finnland 4,0 Prozent. Die 4 Prozent Migranten in Finnland haben das Niveau um 3 Punkte gesenkt; die schiere Masse der Migranten in Deutschland hat das Niveau um 13 Punkte nach unten gedrückt – und damit hat sich in der Gesamtbevölkerung die Rangfolge umgekehrt.
Diese Befunde machen eindrücklich klar:
- Eine sinnvolle Interpretation und Diskussion der PISA-Ergebnisse macht nur dann Sinn, wenn man explizit zwischen Einheimischen und Migranten differenziert.
- Dabei ist es unverzichtbar, neben dem Leistungsniveau auch die Migrantenquote zu berücksichtigen.
In der nächsten Folge beleuchten wir den außerordentlich großen Einfluss der Migranten aus einer anderen Perspektive → Teil 6.
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Quellen und Anmerkungen
(1) OECD (2016), PISA 2015 Ergebnisse (Band I). Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung. W. Bertelsmann Verlag, Germany. DOI 10.3278/6004573w
PISA 2015. Zusatzmaterialien im Internet. Anhang zu Kapitel 7. http://dx.doi.org/10.1787/888933433226
(2) Prenzel, M. et al. (2006). PISA 2003: Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres. Münster: Waxmann Verlag GmbH.
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Stichwörter:
Bildung, PISA, Estland, Finnland, Deutschland, Mathematik, Migranten, Migrationshintergrund
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